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Das Tal der Mammuts

schön: 5 Punkte von Bruno Faidutti

Descartes ca. 25 €

– nicht mehr lieferbar –

bis 6 SpielerInnen

Schwierigkeit mittel (ab ca. 12 Jahre)

Verpackung +

2002

Skepsis ist angesagt, wenn ein altes Spiel auf dem Markt kommt, dem in so genannten Insider-Kreisen ein legendärer Ruf nachgesagt wird. La Vallée des Mammouths, so hieß das Original, ist zwölf Jahre alt und hat einen sehr guten Ruf. Doch so etwas sagt nichts darüber aus, ob das Spiel heute noch zeitgemäß ist. Denn die Spielewelt ist in den vergangenen zwölf Jahren nicht stehen geblieben.

Beim Tal der Mammuts ist der legendäre Ruf jedoch berechtigt. Das hat mich selbst überrascht. Es bietet faszinierenden Spielspaß, wie kaum ein anderer Titel. Während bei Evolutionsspielen wir Urland und Evo irgendwelche Dinosauriergattungen das Spielgeschehen bestimmen, kommen hier Menschen aus Fleisch und Blut zum Einsatz. Das macht Spaß. Endlich ein Spiel, bei dem der eigene Stamm den Gegnern auch mal so richtig eins über die Rübe hauen kann.

Doch leider ist das nur die eine Seite der Medaille. Die Rückseite sieht ganz schön finster aus. Denn irgendwie hat man ständig das Gefühl, mit einem Prototyp zu spielen. Dabei fehlt nicht nur Äußerlichkeiten – Spielbrett-Grafik, Übersetzung der Anleitung und so weiter – der Feinschliff. Sondern auch Spielablauf und Regel bedürften einer intensiven redaktionellen Überarbeitung.

Descartes Editeur und Bruno Faidutti haben es leider versäumt, das in dem heute nicht mehr existierenden Verlag Ludodéliere einstmals erschienene Spiel zeitgemäß zu bearbeiten. Die heutige Fassung entspricht weitgehend dem französischsprachigen Original von 1989.

Das Hauptproblem des Spielablaufs ist das Spielende. Es geht darum, vier Lager zu errichten. Zu Spielbeginn hat jeder Stamm ein Lager. Dann gilt es, sich gegen Mammuts, andere Tiere und gegnerische Stämme zu verteidigen und den Unbilden der verschiedenen Jahreszeiten zu trotzen. Da scheidet manch MitspielerIn auch schon mal vorzeitig aus oder krebst mit zwei, drei übriggebliebenen Stammensmitgliedern am Existenzminimum herum.

Wenn dann jemand mal die vier geforderten Lager errichtet hat, dann hat er doch noch nicht gewonnen. Denn diese vier Lager müssen eine ganze Runde Bestand haben: genug Zeit für die GegnerInnen, sich vereint auf den Führenden zu stürzen. Und dann fängt man meist wieder weit unten neu an.

Das Spiel kann sich ewig hinziehen. Die ersten MitspielerInnen beschäftigen sich mit einem attraktiven Zwei-Personen-Spiel, während die anderen immer noch hitzig den Kampf weiter tragen. Aber irgendwann hat dann doch mal jemand gewonnen. Und da ist man froh, dass es „nur“ darum geht, vier Lager zu bauen. Denn es hätte ja auch heißen können, dass alle GegnerInnen besiegt und aus dem Tal vertrieben werden müssen …

Wie gesagt: das Spiel fasziniert. Man muss sich nur durchbeißen. Mit viel Routine und maximal vier SpielerInnen wird man eine halbwegs erträgliche Spieldauer erreichen.

Offensichtlich ist das Spiel in Unkenntnis der „Kramerleiste“, die schon drei Jahre vorher erfunden wurde, entwickelt worden. Als das französische Spiel noch allein in Insiderkreisen bekannt war, machte das nichts aus. Insiderkreise ertragen viel. Aber für ein breiteres Publikum bräuchte es ein geregeltes Ende. Zwischenwertungen, abmarkiert auf der „Kramerleiste“: das ist der Kunstgriff, den zeitgemäße Spiele häufig anwenden, um rechtzeitig zum Ende zu kommen.

Eine andere Erfindung hat Faidutti – ein Prototyp-Foto auf seiner Homepage beweist es – damals vorweggenommen: das „Catan-förmige“ Spielbrett, das hier keine Insel ist, sondern ein Tal. Auf diesen Hexfeldern fühlt man sich sofort heimisch, alles wirkt übersichtlich.

Doch der Eindruck täuscht. Denn Faiduttis Spiel ist eher ein „Gegen-Catan“. Während es bei den Siedlern immer betont konstruktiv vor sich geht, passiert hier das Gegenteil. Der Erfolg der Siedler hängt damit zusammen, dass einem einmal gebaute Siedlungen und Städte mit ihren Siegpunkten nicht mehr verloren gehen können. Das vermeidet Frust. Beim Tal der Mammuts lässt sich Frust nicht verhindern. Wenn ich mir ein paar Lager mit einer Schar Menschen erarbeitet habe, ist der Untergang oft schon ganz nahe. Entweder meine böse NachbarIn überfällt mich und ich verliere. Oder ich greife meine NachbarIn mit einer bequemen Übermacht an – aber der Würfel spielt gegen mich. Trotz der strategischen Anlage des Spiel ist der Glücksfaktor erheblich.

Das Würfelglück spielt auch bei den halbjährlichen Geburten eine Rolle. Wenn mir der Würfel bei der Geschlechtsbestimmung der Neugeboren keinerlei weibliche Wesen beschert, kann ich keine neuen Lager gründen. Wenn umgekehrt zu viele Frauen geboren werden, stehe ich auch recht hilflos da. Denn nur die Männer helfen mir im Kampf gegen die Stämme der MitspielerInnen. Die Frauen laufen – hier erreicht der Witz Stammtischniveau – kampflos über.

Wenn ich nicht im Kampf verliere, dann verhungere ich vermutlich. Die Winter mit ihren geringen Einkünften können verdammt lang werden. Da stirbt dann nach und nach ein Dorfbewohner nach dem anderen. Oder ich lasse sie vorab taktisch verhungern.

Leider werden nicht viele SpielerInnen diese unglaublichen Erlebnisse im Tal der Mammuts haben. Sie werden nicht an den Unwägbarkeiten im Spielablauf scheitern oder an der ungerechten Startaufstellung. Sondern schon vorher. Sie scheitern an einer Regelübersetzung, die aus einem missverständlichen französischen Original eine fehlerhafte deutsche Fassung gemacht hat. Sie scheitern an der ärgerlichen Spielbrettgrafik. Oder sie scheitern an den fehlenden Hilfskärtchen mit Spielablauf- und Punkteübersichten, ohne die man ständig in der Regel blättern muss.

Ohne Recherche im Internet sollte man dieses Spiel eigentlich nicht beginnen. Auf der Homepage des französischen Soziologiedozenten Bruno Faidutti werden die Übersetzungsfehler korrigiert und ein paar Regeltipps gegeben. Faidutti ist bei uns längst kein Unbekannter mehr. Die Fairplay hatte sein Ohne Furcht und Adel als bestes Kartenspiel 2000 ausgezeichnet.

Das Tal des Mammuts ist in jeder Hinsicht eine Herausforderung, manchmal ungerecht, für Manche frustrierend. Aber gleichzeitig unglaublich spannend. Ich empfehle: Herausforderung annehmen. Und dann durchbeißen.

© Harald Schrapers 2002–2008