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E-Mission

6 von 6games we play Tip: Das TOPspiel Die Zukunft liegt in eurer Hand

von Matt Leacock und Matteo Menapace

Schmidt (Redaktion: Alex Hague, Justin Vickers, Anatol Dündar, Lizenz: CMYK)

Illustration: Mads Berg u.a.

ca. 78 €

1 bis 4 SpielerInnen

Schwierigkeit ◼◼◻◻

Jahrgang 2024

Die Qualität eines Spiels macht sich normalerweise am Spielspaß fest. Hier aber nicht. Der Spielreiz ist riesig, aber Spaß und Freude kommen nicht wirklich auf. Denn wir versuchen, die Klimakatastrophe zu verhindern. Doch schon nach der ersten Runde legen wir zwei 0,1-Grad-Plättchen auf das Thermometer.

Wir spielen Europa, USA, China sowie den globalen Süden und haben zu Beginn eine jeweils unterschiedliche Menge an CO2-Verursachern auf unserem Tableau: Unsere Energieversorgung ist überwiegend schmutzig, hinzu kommen Industrie, Verkehr, Landwirtschaft, Wohnen und so weiter. Fünf Projekte liegen als Spielkarten vor uns aus, weitere fünf Projektkarten ziehe ich von dem sehr dicken und sehr abwechslungsreichen Stapel. Mit ihrer Hilfe versuche ich, die unterschiedlichen Sektoren zu dekarbonisieren oder wenigstens die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Anschließend addieren wir unsere viele verbleibenden Verschmutzer, nehmen entsprechend viele CO2-Würfelchen, die auf die Weltkarte in der Tischmitte gehören. Viele davor können wir auf Marker verteilen, die in den Wäldern und Ozeanen liegen. Sie kompensieren CO2. Aber leider bleiben zu viele der hässlichen Würfelchen übrig und kommen nun auf das Thermometer. Dann werden mindestens drei Krisenkarten abgehandelt – mit steigender Temperatur werden es mehr – und der globale Krisenwürfel wird immer häufiger geworfen und verschärft beim Erreichen bestimmter Kipppunkte die Lage.

Matt Leacock, Co-Autor von E-Mission, hatte mit Pandemie einen Klassiker des kooperativen Spiels geschaffen. Damals, in den Nuller-Jahren, war das noch eine unterhaltsame Science-Fiction-Thematik, die erst später von der Realität eingeholt wurde. Spielmechanisch war es bei Pandemie notwendig, dass wir uns perfekt miteinander abstimmen, um erfolgreich zu sein: Wir suchten den nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung mehr oder weniger optimalen Spielzug. Das führte dazu, dass diejenigen, die ein entsprechendes Talent besaßen, die Runden dominierten.

E-Mission erreicht nicht die Raffinesse der Pandemie-Spielmechanik, vermittelt das Gefühl der Realitätsnähe aber etwas besser und lässt allen Mitspielenden deutlich mehr Freiräume. Im Kampf gegen die Katastrophe gibt es Kooperation – gleichzeitig folgen die Staaten ihrer eigenen Agenda. Zwar liegen alle Projektkarten offen vor uns aus, doch es fehlt in der Praxis an Möglichkeiten, sich die der Mitspielenden konkret anzuschauen. Ich bin mit meinen eigenen Projektkarten schon genug gefordert.

Jede Karte hat einen positiven Effekt – beispielsweise den Ausbau der sauberen Energieversorgung voranbringen – und sie trägt mindestens eines von insgesamt zwölf Symbolen. Diese sind Voraussetzung für eine Aktion oder bestimmen deren Häufigkeit. Ich muss die Karten aufgefächert in meine fünf Slots legen, damit man ihre Symbole sieht. Wenn ich eine Karte unterschiebe, verstärke ich ein Projekt. Alternativ kann ich eine Karte obendrauf legen – dann verändert sich das Projekt.

Hier einen sinnvollen Kartenlegeplan zu entwickeln und möglichst viele Projekte effizient umzusetzen, ist eine schönen Herausforderung. Wer bei kooperativen Spielen erwartet, das jeder Spielzug im Detail ausdiskutiert wird, ist enttäuscht. Mir hingegen gefällt das nebeneinander Spielen hier sehr gut, weil es perfekt zum Ablauf passt. Wichtig ist, dass alle Mitspielenden die Regeln selbst beherrschen. Das sorgt für einen nicht ganz so einfachen Einstieg, obwohl das Spiel nicht übermäßig kompliziert ist.

E-Mission überzeugt in vielerlei Hinsicht. Das Spiel wird in Deutschland produziert (was klimaschädliche Transporte vermeidet) und verzichtet komplett auf Plastik (allerdings hätte ich mir stattdessen kleine Pappschachteln gewünscht, um die Marker zu sortieren). Besonders beeindruckend ist die Vielfalt der im Spiel angesprochen Themen, wofür besonders die 133 Projektkarten sorgen. Da werden viele Aspekte abgedeckt, inklusive der Atomkraft. Sie gilt als „saubere Energie“, ihr Symbol findet sich auf fünf Prozent aller Karten. Das heißt, in den meisten Partien werden die entsprechenden Projekte gar nicht verwendet. Das ist gut, denn E-Mission stellt die Atomenergie arg verkürzt dar: Die Risiken dieser Technologie, die extremen Kosten, die Endlagerung, werden ausgeblendet. Ein Blick auf die Folgen für die Stabilität der Gesellschaft fehlt ebenfalls. Dabei ist das eigentlich eine der Stärken des Spiels: Es geht nicht nur um technologische Maßnahmen, sondern die Marker, die für Stabilität – in Gesellschaft, Natur und Infrastruktur – sorgen, sind in E-Mission von erheblicher Bedeutung. Selbst das Aufkommen von Migrationsbewegungen wird, wenn entsprechenden Karten ins Spiel kommen, dargestellt.

Wo es an Stabilität fehlt, droht der Notstand. Insbesondere der globale Süden, der schon mit drei Notstandsmarkern startet, sollte möglichst viel in die gesellschaftliche Stabilität investieren. Der zwölfte Notstandsmarker ist eine der häufigsten Ursachen dafür, dass das Spiel für uns alle mit einer Niederlage endet.

Deswegen ist es eben doch wichtig, die notwendige Kooperation nicht aus dem Auge zu verlieren. Denn es gibt durchaus einzelne Spielkarten, die es ermöglichen, die Mitspielenden zu unterstützen. Die USA wären vielleicht gut beraten, statt ihren Wohnungsbestand auf einen Schlag klimaneutral zu sanieren, ein Notstandsplättchen im globalen Süden zu tilgen. Der Süden hat es eh deutlich schwerer, das merkt auch die Spielerin, die diese Rolle einnimmt. Wer Amerika spielt, spielt vergleichsweise entspannt, weil die USA in dem asymmetrischen Startaufbau – was meiner Realitätswahrnehmung widerspricht – fast wie ein Klimavorbild wirken.

E-Mission will keine Simulation der Klimakatastrophe sein. Das Spiel solle zum Nachdenken anreden, schreibt Daniel Wüllner, der E-Mission in einer Partie mit Klimaforschern an der Münchener Uni erfolgreich dem Praxistest unterzogen hat. „Unterhaltsam, für Wissenschaftler akzeptabel und noch Denkanstoß – mehr kann man von einem Brettspiel über die Klimakrise eigentlich nicht verlangen“, schlussfolgert Wüllner in der Süddeutschen Zeitung.

Die ersten fünf Partien dieses Spiels habe ich gemeinsam mit meinen Mitstreiterinnen gewonnen. Ist das Spiel zu einfach? Nein. Denn die nächsten drei Partien endeten mit einer Niederlage, obwohl alle ohne zusätzliche Herausforderungskarten gespielt wurden. Auch die Siege waren knapp und nur mit viel Kartenglück realisierbar. Es gibt kooperative Spiele, die uninteressant werden, sobald man sie „bewältigt“ hat. Bei E-Mission ist das eindeutig nicht der Fall. Es ist eher umgekehrt. Denn nach Niederlagen entwickelt sich eine betrübte Stimmung – und die ist der Grund dafür, dass dieses Spiel keine Begeisterung im üblichen Sinn auslöst. Denn entweder haben wir die Notstandsplättchen unterschätzt, waren nicht schnell genug – nach sechs Runden ist Schluss – oder die Temperatur hat uns eine besonders deprimierende Niederlage beschert: die Erde hat sich um zwei Grad erhitzt.

Die Komplexität der Realität ist in dem Spiel so reduziert, dass es für Leute, die Erfahrung mit einfachen Kennerspielen besitzen, gut zu bewältigen ist. In den meisten Fällen benötigt man auch nicht die auf der Schachtel angegebene zweistündige Spielzeit, sondern es spielt sich deutlich flotter. E-Mission vereint wie kein anderes Spiel eine herausragend wichtige Thematik mit einem grandiosen spielerischen Erlebnis.

Rating: 9/10 ⚅ ⇑ (» mehr Infos zum Rating)

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