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Zug um Zug Legacy

5 von 6games we play Tip: Das TOPspiel Legenden des Westens

von Rob Daviau, Matt Leacock und Alan R. Moon

Days of Wonder (Redaktion: Frank Lefebvre, Sébastien Rio, Sebastian Wenzlaff, Vertrieb: Asmodee)

Illustration: Julien Delval

ca. 140 €

2 bis 5 SpielerInnen (besser: 3 bis 5)

Schwierigkeit ◼◼◻◻

Jahrgang 2024

Spoileralarm! So fangen viele Spielebesprechungen an, die von Legacy-Spielen handeln, um unbescheiden auszudrücken, dass auch ein Brettspiel eine mehrteilige Geschichte erzählen kann. Besonders viel gibt hier aber gar nicht zu „spoilern“: Es gibt kaum etwas, was jemandem im weiteren Spielablauf taktisch oder strategisch beeinflussen würde, wenn man es vorher weiß. Und eine thematische Geschichte mit überraschenden Wendepunkten gibt es eh nicht. Trotzdem gilt: Wer Film- oder Buchkritiken immer erst im Nachhinein liest, sollte jetzt stoppen. Irgendein Höhepunkt wird immer verraten, denn es soll ja einen Vorgeschmack geben. Für ein Spiel, das ein derart grandioses Spielgefühl erzeugt, gilt das ganz besonders. In meiner Runde kam manchmal sogar ein Gefühl auf, das mit dem einer Serie vergleichbar ist. Eigentlich könnte man dieses Spiel auf zwölf Abende verteilen. Aber wir haben am Anfang direkt fünf Partien geschafft, und danach ging es meist mit Doppelfolgen weiter. Nicht jede Partie ist genial, manche ist auch nur mittelgut – aber man möchte unbedingt wissen, wie es weitergeht.

Ein Höhepunkt war der Goldrausch. Wer eine Zugverbindung von einer der Städte, die weiter im Osten liegen, zu den Orten der Goldfunde geschafft hatte, bekam die Chance auf reichlich Siegpunkte. Einige Spielkarten sind nämlich wie ein Rubbellos gestaltet. Ich schaue, ob meine soeben geschaffene Verbindung auf der Spielekarte aufgelistet ist, markiert diese und darf rubbeln. Nieten gibt es keine, aber unterschiedlich große Boni. Hier ist eine beinahe fiebrige Stimmung entstanden – in etwa so wie wir uns die Suche nach dem Gold vorstellen. Und nach exakt einer Partie war diese Episode beendet.

Andere Spielelemente, die uns anfangs überrascht haben, ziehen sich über mehrere Partien. Das ist nicht immer gut, und manchmal waren wir froh, wenn etwas wieder verschwindet. Denn mancher Spielzug wirkt überladen. Ich setze die Waggons, um eine Strecke zu besetzen, und muss zwei, drei oder mehr Zusatzeffekte beachten: unterschiedliche Punkteboni, Extrakarten, und dann noch den Räuber versetzten. In solchen Situationen dominiert die bloße Quantität der Spielelemente. Deswegen ist spätestens ab der zweiten Legacy-Partie ist klar, dass das kein Spiel für Leute ohne tiefere Spielerfahrung ist. Ein paar Mal das ursprüngliche Zug um Zug gespielt zu haben, das vor exakt 20 Jahren erschien und damals zum Spiel des Jahres gekürt wurde, reicht nicht aus.

Gleichwohl sind die Ähnlichkeiten zum Originalspiel sehr groß, was bereits ein Blick in die Anleitung verrät. Folglich hatten wir uns auch entschlossen, die Legacy-Kampagne zu viert anzugehen. Zwar würde es auch zu zweit funktionieren, aber im Grunde ist Zug um Zug ein Multiplayerspiel, das von vielen interaktiven Momenten profitiert. Zu viert hat es den Vorteil, dass die Doppelstrecken – zu zwei und zu dritt bleibt immer eine frei – vollständig genutzt werden.

Vielleicht wäre es auch zu fünft toll gewesen, aber – das ist der Nachteil einer Spielekritik, die sich einem Kampagnenspiel annimmt – man hat keine echte Chance, es in unterschiedlichen Konstellationen auszuprobieren. Ich habe zwölf Partien erlebt, aber immer mit denselben Leuten. Wenn wir eine Person mehr gewesen wären, hätten wir das Spielmaterial noch besser ausgenutzt. So blieb eine der kleinen Schachteln, mit denen wir starten, komplett verschlossen und wird – wie vieles andere in diesem Spiel auch – nicht gebraucht und kann nach der Kampagne ungenutzt entsorgt werden. Das ist das zwar schade, aber anders geht es nicht. Einen großen Teil des Materials könnte man behalten, denn es gibt die Möglichkeit, nach Kampagnenende mit einer Extraregel weiterzuspielen.

Wie läuft das Spiel? Sehr ähnlich wie das Spiel des Jahres 2004. Auch wenn einige teils brillante Gimmicks dazukommen, die Spielfläche immer größer gepuzzelt wird und nach und nach mit sehr vielen Aufklebern versehen wird: es ist Zug um Zug. Das kann man enttäuschend finden – oder konsequent. Denn Zug um Zug funktioniert, und die der Legacy-Edition zugrundeliegenden Regeln gefallen mir an einem entscheidenden Punkt besser als die des Grundspiels. Um im Original-Zug-um-Zug zu gewinnen, sollte man auf das Nachziehen von Zielkarten möglichst verzichten. Denn die Strategie, primär die ganz langen Strecken zu besetzen, die damit verbundenen viel höheren Punkte zu kassieren und möglichst schnell das Spielende einzuläuten, ist erheblich stärker. In dem Kampagnen-Zug-um-Zug ist das anders. Hier bedeutet es nur einen geringen Unterschied, ob ich auf kurzen oder den eh sehr seltenen langen Strecken baue. Denn zwischendurch gibt es dafür keine Punkte. Erst am Ende der Partie, was sehr viel eleganter ist, werden die übriggebliebenen Waggons gezählt und man kann maximal 16 Punkte kassieren. Deshalb sind in der Legacy-Edition die Zielkarten die bessere Strategie. Das ist außerdem spannender, als an beliebigen Stellen des Spielplans den Bau teils unzusammenhängender Strecken zu beschleunigen, um schnell fertig zu werden.

Viele Zielkarten erhöhen aber das Risiko für heftige Niederlagen, bei denen man vielleicht sogar ein Null-Punkte-Resultat notieren muss. Zielkarten können sich sehr auszahlen, wenn Strecken mehrfach genutzt werden. Umgekehrt heißt das: Obwohl es durch viele Doppelstrecken und einer „Huckepack“-Regelung mehr Flexibilität gibt, kann an Ende eine kleine Verbindung fehlen – mit sehr weitreichenden Folgen für mehrere Zielkarten. Dann hagelt es viele Minuspunkte. Egal ob durch Pech oder Fehlkalkulation verursacht: Das ist in einer solchen spielerischen Kampagne überhaupt nicht schön. Denn wir spielen nicht kooperativ, sondern im Unterschied zu vielen anderen Legacy-Titeln in Konkurrenz, was eigentlich sehr schön ist. Das Punkteergebnis einer Partie notiere ich auf einem so genannten Bankbeleg, den ich zusammen mit anderen punkteträchtigen Errungenschaften in eine Art Pappspardose einwerfe. Dieser „Tresor“ bleibt bis zum Kampagnenende verschlossen, so dass niemand den aktuellen Punktestand nachrechnen kann. Aber ein Gefühl für die Punktedifferenzen hat man durchaus – und der Spielspaß sinkt, wenn man berechtigt der Meinung ist, abgeschlagen zu sein.

Drei deutliche Kritikpunkte habe ich an Zug um Zug Legacy:

1. Es gibt zwar einen Aufholmechanismus, der ist aber viel zu schwach. Wer eine Partei verliert, bekommt in der Folgepartie einen Extrazug nach dem eigentlichen Ende. Und er darf aus einem zunehmend dicken Stapel an Karten als erster einen weiteren Bonus rausziehen. Beides ist nett, aber gleicht die vorangegangene Niederlage – insbesondere in einer Konstellation mit vielen Mitspielenden – nicht aus.

2. Direkt am Ende der ersten Partie bleibt die Anleitung, wie man an die vielen Postkarten kommt, in einer der kleinen Schachteln stecken. Das Fehlen dieses Regelelements fällt zunächst nicht auf, denn sie könnte ja mit Absicht erst spät hinzukommen. Wir haben das erst am Ende der fünften Partie bemerkt und konnten das Problem dann nur noch unvollständig reparieren. War das ein blöder Zufall, der nur uns passiert ist? Nein, ich kenne auch noch andere Runden, wo das geschehen ist.

3. Die thematische Einbettung ist, mit der Ausnahme des oben beschriebenen Goldrausches, ziemlich schwach. Alles lebt von der Zug-um-Zug-Grundmechanik und kleinen Zusatzspielchen, die mit Gimmicks überraschen. Das Thema „Legenden des Westens“, der Untertitel des Spiels (wer denkt sich eigentlich so etwas aus?), wirkt eher aufgesetzt. Und es ist eine „Legende“, die völlig aus der Zeit gefallen ist, was dem Spiel einen sehr unangenehmen Beigeschmack gibt. Die entschuldigende Aussage der Autoren, dass es ihnen schlechterdings nicht gelungen sei, die Existenz indigener Menschen zu berücksichtigen, ist angesichts der nur losen Verbindung von Thematik und Spielmechanik nur bedingt nachvollziehbar.

Doch trotz dieser Kritikpunkte schafft es Zug um Zug Legacy, dass ich es in der Spitzengruppe überragender Spiele einsortiere – wenn auch nur so gerade eben.

Rating: 9/10 ⚄ ⇑ (» mehr Infos zum Rating)

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